Instructors: Vojtech Drapal
Event type:
Seminar
Displayed in timetable as:
Profilseminar C6
Hours per week:
2
Credits:
6,0
Language of instruction:
German
Min. | Max. participants:
10 | 20
Comments/contents:
Die Veröffentlichung von Foucaults „Überwachen und Strafen – Die Geburt des Gefängnisses“ (1975) fällt nicht ohne Grund in dieselbe Zeit, in der eine wissenschaftliche Bewegung entstanden ist, die sich selbst den Namen „kritischen Kriminologie“ gegeben hat. In der Tat tauchten in den 1970er Jahren eine ganze Reihe neuartiger historischer Untersuchungen zur Entstehung des Gefängnisses auf, die sich in zwei Punkten einig sind: sie alle verorten nun - im Unterschied zu früheren historischen Untersuchungen – die Entstehung des Gefängnisses vor allem im 18. Jahrhundert und stellen damit einen deutlichen Zusammenhang zur Entstehung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft her (z.B. Perrot 1975; Ignatieff 1978; Melossi 1981). Diese „revisionistische Geschichtsschreibung“ (Bretschneider/Muchnik 2021) des Gefängnisses kann nicht losgelöst werden von den politischen und sozialen Kämpfen, die sich nach 1968 gegen Praktiken der Internierung und damit gegen alle „totalen Institutionen“ (Gofman) formierten. Es verwundert entsprechend wenig, dass genau diese Bücher eine neue Konjunktur in einer Zeit erleben (vgl. DeGiorgi), in der sich die Frage des Abolitionismus auf neue Weise stellt (vgl. Loick/Thompson).
Gleichzeitig ist Foucaults „Überwachen und Strafen“ in den unterschiedlichen Spielarten der kritischen Kriminologie kaum in seiner theoretischen Tragweite erfasst worden (vgl. Krasmann 2007). Dass mit diesen und anderen Studien Foucaults eine neue Weise eingeführt wurde, Macht zu analysieren, blieb allzu oft unberücksichtigt. Und in der Tat: „Macht“ als etwas zu erfassen, das den Subjekten auf eine paradox anmutende Weise vorgelagert ist, sowie als etwas, das inkrementell mit Praktiken der Wissensproduktion – auch der wissenschaftlichen, auch der philosophischen, auch der politisch-‚kritischen‘ Wissensproduktion – verflochten ist, bildet Teil jener „unverdaulichen Mahlzeit“ (Lemke), die Foucault vorgelegt hat. Aber selbst die soziologisch informiertere Foucault-Rezeption hat, so der Einsatz dieses Seminars, noch nicht die volle Breitseite dieses kanonischen Klassikers erfasst. Nicht nur wird dieses Buch nach wie vor fälschlicher Weise auf die These zum „Panoptikum“ reduziert, auch hat es noch viel mehr zu bieten, als eine Geschichte des Gefängnisses: Mit „Überwachen und Strafen“ wird unser gesamtes – modernes – Verhältnis zum Verbrechen zum Gegenstand einer kulturgeschichtlichen Analyse. Den Stellenwert dieser Tiefenreflexion für die alte und neue, die kritische und unkritische Kriminologie zu bemessen, ist das Anliegen dieses Lektürekurses.
Learning objectives:
- Erlangung einer vertieften Kenntnis des Inhaltes, der Methode, der Analyseschritte und der Bedeutungsschichten von "Überwachen und Strafen"
- Erlangung eines Überblicks über die Rezeptionslinien dieses Buches in jener Strömung, die den Zweck einer Kritik der traditionellen Kriminologie verfolgt(e) und zu einer neuen Soziologie des strafenden Staates ansetzt(e)
- Erlangung eines Einblicks in den sozial- und wissenschaftsgeschichtlichen Entstehungskontext dieses Buches
- Einordnung von "Überwachen und Strafen" in den weitergehenden Werkkontext Foucaults, sowie in den Kontext anderer, ähnlicher, vergleichbarer, ergänzender, alternativer Reflexionen auf den "Ort" des Gefängnisses in modernen - früh- und spätmodernen - Gesellschaften
Didactic concept:
- intensive Lektüre des Buches
- ergänzende Lektüre kontextualisierender Literatur
- ergänzende Lektüre konkurrierender Literatur
Literature:
Bretschneider, Falk / Muchnik, Natalia (2021): Geschichte(n) des Gefängnisses, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 71. Jg., H. 42-43, S. 24-29.
Foucault, Michel (1976): Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses, 1. Aufl., Suhrkamp.
Krasmann, Susanne (2007): Von der Disziplin zur Sicherheit. Foucault und die Kriminologie. In: Anhorn, R., Bettinger, F., Stehr, J. (Hg.): Foucaults Machtanalytik und Soziale Arbeit, S. 155–168.
Melossi, Dario (1981): The Prison and the Factory – Origins of the Penitentiary System.
Additional examination information:
Regelmäßige Teilnahme an den Seminarsitzungen und Übernahme von Textpräsentationen in Einzel- oder Gruppenarbeit
Prüfungsart: Hausarbeit (ca. 12 Seiten)
Bewertungsschema: RPO (benotet)
Abgabetermin: 31.03.2024
Ausgabe der bewerteten Prüfungsleistungen: Beim Lehrenden
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