Lehrende: Dr. Jörg Schilling
Veranstaltungsart:
Seminar
Anzeige im Stundenplan:
Amerikanismus
Semesterwochenstunden:
2
Credits:
6,0
Unterrichtssprache:
Deutsch
Min. | Max. Teilnehmerzahl:
- | -
Kommentare/ Inhalte:
Das Problem der Amerikanisierung als Modus von Modernisierung beschäftigt seit geraumer Zeit die Geschichtswissenschaft. Zwischen 1890 und 1960 prägte sich der "Amerikanismus" als Schlagwort, das sowohl Begeisterung für die zivilisatorischen Errungenschaften als auch Skepsis gegenüber den gesellschaftlich-kulturellen Nebenfolgen der Modernisierung ausdrücken konnte. Insbesondere in den Debatten, die in den Goldenen Zwanzigern um die moderne Architektur in Deutschland geführt wurden, kam die Ambivalenz des "Amerikanismus" zum Tragen. Die Auseinandersetzung um amerikanische Bauweisen bediente fortschrittshörige wie kulturpessimistische Argumentationsmuster. So konnte Hamburg als die Stadt hervorgehoben werden, "die sich am engsten mit dem "Amerikanismus" berührt", während es im selben Zusammenhang hieß, ihr "Grundcharakter ist konservativ" und ihre Großstadtprojekte seien das "Traumbild einer am Amerikanismus ungesund aufgeblähten kaufmännischen Phantasie". Der Frankfurter Baudirektor Martin Elsaesser schuf mit der Frankfurter Großmarkthalle den wohl amerikanistischen Bau der Zwanziger Jahre, obwohl nicht lange zuvor - "trotz des schlechten Nährbodens, den unsere Tage mit ihrem Amerikanismus für die künstlerische Tätigkeit bieten"- seine "innige Beziehung zur der heimatlichen Kunst" betont worden war. In einem dialektischen Verhältnis von Beharren und Fortschreiten, in einer Kultur-Zivilisations-Dichotomie, waren die Architekten und ihre Kritiker gefangen. Le Corbusier pries das Beispiel amerikanischer Ingenieursbauten aus Angst vor revolutionär-gesellschaftlicher Veränderung. Erich Mendelsohn war von seinen Amerika-Eindrücken zugleich fasziniert und abgestoßen. Die avantgardistische Zeitschrift Das Neue Frankfurt propagierte aus Amerika importierte, industrialisierte Fertigungs- und Bauweisen, aber überzog die dortige Baukultur mit Hohn uns Spott. Die Diskussion um das Hochhaus als eine Ausgeburt städtisch-ungesunder Lebensform hielt den völkischen Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband nicht davon ab, seine Veraltungszentrale in modernster Stahlskelettbauweise zu errichten.
Mit den in die USA emigrierenden Vertretern der architektonischen Moderne errangen die Vereinigten Staaten auch auf diesem Gebiet eine führende Stellung. Doch mit ihrer Weiterentwicklung der moderner Formensprache lösten die amerikanischen Architekten gegenüber einer die Ideale des Funktionalismus und weiter den "Amerikanismus" pflegenden deutschen Nachkriegsmoderne ängstliche Besorgnisse aus: "sind diese allein unsere Vorbilder?" Damit stellt sich abschließend die Frage: ist das Schlagwort des "Amerikanismus" nicht geradezu Ausdruck einer Ambivalenz der Moderne?
Seminarplan:
1. Einführung
2. 1890: Entdeckung Amerikas, Kulturpessimismus von Langbehn bis Spengler
3. Louis Sullivan; Henry Hobson Richardson und die Deutsche Bauhütte
4. Frank Lloyd Wright's Rezeption ab 1910
5. Hochhausdebatte I. Wettbewerb Chicago Tribune Tower
6. Hochhausdebatte II. Wettbewerb Hochhaus Berlin Friedrichstraße
7. Hochhausdebatte III. Wettbewerb Hamburg Messehaus; Hamburg, die amerikanischste Stadt Deutschlands?
8. Maschine, Masse, Metropole: Berlin
9. Von Silos + Speichern: Rezeption des amerikanischen Industriebaus bei Le Corbusier
10. Hegemann und Mendelsohn: Amerika-Bilderbücher deutscher Architekten
11. "Taylorismus" und "Fordismus" - das Neue Frankfurt / Richard Neutra: Vermittler zwischen den Welten
12. Amerikanismus und NS-.Staat
13. Mies van der Rohe, Gropius: Deutsche Exil-Architektur in den USA
14. Re-Import: deutsche Nachkriegsmoderne - Vorbild USA?
Literatur:
Literaturhinweise:
Amerikanisierung. Traum und Alptraum im Deutschland des 20. Jahrhunderts, hg. von Alf Lüdtke / Inge Maßolek / Adelheid von Saldern, Stuttgart 1996
Frank Becker: Amerikanismus in Weimar. Sportsymbole und politische Kultur 1918-1933, Wiesbaden 1993
Becker, Frank / Elke Reinhardt-Becker (Hg.): Mythos Amerika. "Amerikanisierung" in Deutschland seit 1900, Frankfurt a.M./New York 2006.
Cohen, Jean-Louis: Amerikanismus und Stadtgestalt im 20. Jahrhundert, in: Architektur als Kunst. Die Entwurfs- und Planungskonzepte Fritz Schumachers und seiner Zeitgenossen, Schriftenreihe mit den Beiträgen und Ergebnissen des Fritz-Schumacher-Kolloquiums in Hamburg vom 23. Juni bis 25. Juni 1994, Hamburg 1995, S. 73-87.
Hegemann, Werner: Amerikanische Architektur und Stadtbaukunst. Ein Überblick über den heutigen Stand der amerikanischen Baukunst in ihrer Beziehung zum Städtebau, Der Städtebau, Bd. 1, Berlin 1925
Hoeres, Peter: Die Kultur von Weimar, Berlin 2008
Kamphausen, Georg: Die Erfindung Amerikas in der Kulturkritik der Generation von 1890, Weilerswist 2002
Kelleter, Frank; Knöbl, Wolfgang (Hg.): Amerika und Deutschland. Ambivalente Begegnungen, Göttingen 2006
Koch, Lars (Hg.): Modernisierung als Amerikaniserung? Entwicklungslinien der westdeutschen Kultur 1945-1960, Bielefeld 2007
Köth, Anke: Amerikanismus und Kulturkritik. Zur deutschen Rezeption amerikanischer Baukunst in den 1920er Jahren, in: Institutionelle Macht. Genese - Verstetigung - Verlust, im Auftrage des Sonderforschungsbereichs 537, hg. v. André Brodocz, Christoph Olivier Mayer, Rene Pfeilschiffer und Beatrix Weber, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 473-488.
Mauch, Christof / Klaus Kiran Patel (Hg.): Wettlauf um die Moderne. Die USA und Deutschland 1890 bis heute, München 2008.
Mendelsohn, Erich: Amerika. Bilderbuch eines Architekten, Berlin 1926.
Mohr, Christoph / Müller, Michael: Funktionalität und Moderne. Das Neue Frankfurt und seine Bauten 1925 - 1933, Köln 1984
Müller-Wulckow, Walter: Architektur 1900-1929 in Deutschland, Reprint der vier Blauen Bücher und Materialien zur Entstehung, neu herausgegeben von Hans-Curt Köster, Königstein im Taunus 1999
Neutra, Richard J.: Wie baut Amerika? Gegenwärtige Bauarbeit, Amerikanischer Kreis; Die Baubücher Bd. 1, Stuttgart 1927
Schilling, Jörg: Vom Screen zum Eierkarton - Die Amerikanisierung der Kaufhausarchitektur um 1960, in: Anke Köth, Kai Krauskopf, Andreas Schwarting in Zusammenarbeit mit Hans-Georg Lippert: Building America. Eine große Erzählung, Bd. 3, Dresden 2008, S. 139-167
Stommer, Rainer: Hochhaus. Der Beginn in Deutschland, Marburg 1990
Zukunft aus Amerika. Fordismus in der Zwischenkriegszeit. Siedlung, Stadt, Raum, Stiftung Bauhaus Dessau 1995
Modulkürzel:
EM3, AM3, AM5, VM1
|