Lehrende: Dr. Michael Oliva Cordoba
Veranstaltungsart:
Hauptseminar
Anzeige im Stundenplan:
Semesterwochenstunden:
2
Credits:
4,0
Unterrichtssprache:
Deutsch
Min. | Max. Teilnehmerzahl:
5 | 25
Weitere Informationen:
Die Studierenden im Rahmen des BA oder MA der Philosophie erhalten LP im Umfang gemäß ihrer Modulbeschreibung.
Für den erfolgreichen Besuch dieser Veranstaltung im Rahmen des Fachspezifischen Wahlbereichs werden 4 LP angerechnet.
Für Angebote des Fachbereichs Philosophie entfällt die Nachmeldephase!
Kommentare/ Inhalte:
Die Idee der sozialen Gerechtigkeit kann auf vielfältige Weisen beschrieben werden und wird es auch. Nicht alle diese Weise können nebeneinander gleich gut bestehen:
Brian Barrys Ansatz in seinem einflussreichen Buch Why Social Justice Matters ist eminent politisch im Sinne der Politischen Theorie. Er beschreibt den Gegenstandsbereich der Theorie der sozialen Gerechtigkeit über den Schlachtruf und die Reformprogramme der Sozialdemokratie, die er nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem in Deutschland und Schweden am Werk sah: “1. Die Macht des Kapitals muss durch starke Gewerkschaften eingeschränkt werden. 2. Die vom Kapitalismus geschaffene Verteilung von Einkommen und Vermögen [ist] inakzeptabel ungleich und sollte durch geeignete Steuer- und Transfermaßnahmen geändert werden [.…] (der 'Wohlfahrtsstaat’). 3. Bildungs- und Gesundheitsdienste von einheitlich hoher Qualität sollten flächendeckend für jedermann bereitgestellt werden. Wohnraum [ist ebenfalls] allgemein zu wichtig, um ihn den Marktkräften zu überlassen.” (Barry 2005, 5f.) David Miller verfolgt einen eher moralphilosophischenAnsatz, der zwar in Rechnung stellt, welche Konzeptionen von Gerechtigkeit in Gesellschaften empirisch vorgefunden werden, vor allem aber die unterliegenden moralische Prinzipien herauszudestillieren sucht, insbesondere solche des Verdienstes, der Bedürfnisse und der Gleichheit. (Miller 2001, ix f.) Die dominierende Konzeption von John Rawls dagegen ist eher politisch im Sinne der Politischen Philosophie. Sie kommt dem eigenen Anspruch vom Kontraktualismus her und sieht soziale Gerechtigkeit eine eigene Art von Gerechtigkeit, die sich von humanitärer Gerechtigkeit, globaler Gerechtigkeit und anderen Formen von Gerechtigkeit in sozialer Hinsicht unterscheidet. Das Besondere an der sozialen Gerechtigkeit ist, dass ihr Hauptaugenmerk auf der Festlegung der Bedingungen für die soziale Kooperation liegt, was vor allem eine politische Bestimmung der Grundstruktur der Gesellschaft beinhaltet. Wie bei Barry und Miller ist soziale Gerechtigkeit damit eminent politisch, wie bei Miller aber letzten endes moralisch. Im Fokus steht bei Rawls die Verteilungsgerechtigkeit, die er als Teil der sozialen Gerechtigkeit sieht. Daher ist seine Theorie zentral mit der Regulierung distributioneller, und hier vor allem wirtschaftlicher Beziehungen beschäftigt. Sie will die Verteilung des Ertrags unter sozial produktiven freien und gleichen Bürgern bestimmen, die miteinander frei sozial kooperieren. (Vgl. z.B. Rawls 1971, 86ff. & Freeman 2007, 125f.)
Zentrale Themen der sozialen Gerechtigkeit sind also Brot und Butter-Themen, die engagierte Bürger am Frühstückstisch, der Arbeitsttäte und in Vereinen und Verbänden besprechen: Auf der einen Seite Gleichheit, Steuern, Umverteilung, Öffentliche Güter, auf der anderen Seite Armut, Reichtum, Umwelt, Diskriminierung und ähnliche. Die Diskussionen zur sozialen Gerechtigkeit sind entsprechend der Bedeutung dieser Themen oft weltanschaulich, kontrovers und nicht selten verbissen und dogmatisch. Einen Grund dafür sieht der amerikanische Ökonom und Sozialwissenschaftler Thomas Sowell darin, dass sich unter die vielen wichtigen Aspekte, die man in Diskussionen zur sozialen Gerechtigeit berührt, regelmässig auch Denkfehler und Fehlschlüsse mischen. Die Emotionen kochen in solchen Diskussionen daher nicht selten daher hoch, weil es zwar viel Donner und Rauch gibt, aber unklar bleibt, wer eigentlich mit wem kämpft und wer wen wie trifft. In unseren Seminar wollen wir Thomas Sowell auf der Spurensuche folgen, die Diskussion der wichtigen Themen der sozialen Gerechtigkeit von Denkfehlern und Fehlschlüssen zu befreien. In seinem aktuellen Buch Social Justice Fallacies identifiziert Sowell vor allem vier Arten von Fehlschlüssen:
- Solche, die sich aus Verwirrungen über den Begriff und die Bedeutung von Gleichheit ergeben (“equal chances fallacies”);
- Solche, die aus typischerweise monokausalen Analysen entspringen, die Ungerechtigkeit routinemäßig auf Rassismus zurückführen (“racial fallacies”);
- Solche, die die Autonomie und Subjektivität der Bürger ignorieren und die Möglichkeit eines uneingeschränkten “social engineering” überbetonen (“chess piece fallacies”);
- Solche, die eine all- oder besserwissende Zentralinstanz imaginieren und die Dezentralität und Zersplitterung gesellschaftlichen Wissens nicht ausreichend in Rechnung stellen (“knowledge fallacies”).
Das aktuellste (2023) von Sowells schätzungsweise 50 Büchern aus den letzten 50 Jahren ist aber zugleich auch eine Art Bilanz eines Lebens als randständiger, aber hochgeachteter Sozialwissenschaftler, der sich stets einer deskriptiven Analyse verpflichtet sah und sich der normativen Stützung von Forschungsergebnissen stets verweigerte. Wir erschliessen uns damit auf verblüffend verständliche Weise ein wichtiges Themenfeld, das die gegenwärtige praktische Philosophie dominiert wie kein anderes.
Besondere Vorkenntnisse werden nicht erwartet. Erwartet wird allerdings insbesondere
- eine engagierte Mitarbeit (einschließlich mündlicher Beteiligung!),
- die gründliche Vorbereitung der Lektüre
- wöchentlich schriftliche Beantwortung kurzer Fragen zur vorangegangenen Sitzung. Die Antworten sind im Wechsel nach Aufruf im Seminar vorzutragen (Mikro-Referat).
WICHTIG! Falls Sie überlegen, in diesem Seminar eine Prüfungsleistung abzulegen:
- Nehmen Sie unbedingt die nachstehende Hinweise zur Kenntnis. Unkenntnis ist KEIN Entschuldigungsgrund!
- Das selbsttätige Anmeldeverfahren sieht vor, dass Sie Ihre Prüfungsanmeldung in der siebten Woche der Vorlesungszeit selbsttätig in STiNE eintragen. OHNE diese Eintragung ist ein Zulassung zur Prüfung nicht möglich. Bitte kümmern Sie sich rechtzeitig darum.
- Zwingend erforderlich ist zusätzlich eine individuelle Absprache vor Ablauf der siebten Vorlesungswoche zur Festlegung des Prüfungsthemas. Stimmen Sie dazu bitte rechtzeitig mit mir (über michael.oliva-cordoba@uni-hamburg.de) den Termin für eine Sprechstunde zur Absprache des Prüfungsthemas ab.
- OHNE diese Sprechstunde ist ein Zulassung zur Prüfung nicht möglich. Ihre dennoch erfolgte STiNE-Buchung wäre unwirksam, ein bedeutungsloser Datenbankeintrag. Bitte kümmern Sie sich rechtzeitig um die Sprechstunde!
- Die Zulassung zur Prüfung steht in jedem Fall unter der aufhebenden Bedingung der regelmässigen Seminarteilnahme.
Literatur:
- Arneson, Richard J. (2007), "Does Social Justice Matter? Brian Barry’s Applied Political Philosophy”, Ethics 117, 319–412.
- Barry, Brian (2005), Why Social Justice Matters, Cambridge: Polity.
- Freeman, Samuel (2007), Justice and the Social Contract, Oxford: Oxford University Press.
- Hayek, Friedrich August von (1976), "The Mirage of Social Justice”, in Law, Legislation and Liberty, Abingdon 2013: Routledge
- Miller, David (1999), Principles of Social justice, Cambridge, MA: Harvard University Press.
- Rawls, John (1971), A Theory of Justice, Cambridge, MA: Harvard University Press.
- Sowell, Thomas (1999), The Quest for Cosmic Justice, New York: simon & Schuster.
- –––––––– (2023), Social Justice Fallacies, New York: Basic Books.
Zusätzliche Hinweise zu Prüfungen:
Studienleistungen:
- aktive Teilnahme: Engagierte Mitarbeit einschließlich mündlicher Beteiligung!
- sorgfältige Vor-/Nachbereitung der Seminarsitzung, insbesondere gründliche Vorbereitung der Lektüre.
- wöchentlich schriftliche Beantwortung kurzer Fragen zur vorangegangenen Sitzung. Die Antworten sind im Wechsel nach Aufruf im Seminar vorzutragen (Mikro-Referat).
- weitere Studienleistungen werden ggf. am Anfang der Veranstaltung bekannt gegeben
Prüfungsleistung:
Schriftliche Hausarbeit (o.ä.) nach Maßgabe der jeweiligen Modulbeschreibung (weiteres ggf. dort nachschlagen)
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